Karin Missy Paule Haenlein/Hamburg

Mobil im Immobil


anfangs

rollt die graugrüne Kiste über den Lipschitzplatz, gerade aus Hamburg eingetroffen, ohne dass jemand uns Beachtung schenkt.

Im Hof des Gemeindezentrums werde ich sie für den ersten Tag in der Gropiusstadt aufrüsten.

Ich schwitze, die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite; mich lässt das nicht kalt.

Das Mittagessen besteht aus einem Pott Kaffee: Magenschmerzen für 'nen Euro. Zu verwöhnt für diesen Stadtteil, hier gibt es kein Café Latte to go. Sonst wären wahrscheinlich alle schon weg!

Minah Son ist die erste der Kabinenbenutzerinnen, die sich den Gropiusanern stellen wird.

Mitten

auf dem Platz vor der Post steht die Kabine zum Zeichnen, Ruhen und Bewegen. Daneben der Eingang zur U-Bahn.

Viele Menschen sind unterwegs, gleich der Markt nebenan, der Platz – ein Zwischenraum. Man geht entlang, vorüber, Minah zeichnet und zeichnet, kaum jemand bleibt stehen, um zu verstehen.

Dann: kleine Jungen mit großen Ohren touren mit ihren Fahrrädern und Skates über den Platz. Es ist ihre Stunde, wenn die Eltern ermattet nach der Arbeit vor der Glotze hängen. Sie sind ein dankbares Publikum, denn sie wollen entdecken, verstehen und vermitteln. Das zieht Kundschaft an!

Eine dicke Frau mit Tochter erweist sich als perfekte Einweiserin in die Benutzung der Kabine und Beachtung der Regeln, um zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen. "Nein, hier hin stellen und ruhig bleiben, sonst wirst du nicht gezeichnet. Und erst warten bis die Zeichnung fertig ist, dann erst am Papier an der Seite ziehen, bevor man abreißt..."

Ich sitze drin, zeichne und amüsiere mich köstlich!

Mein Haus ist schon zu Haus.

Nur die Älteren tun sich schwer Geduld aufzubringen.

In aller Öffentlichkeit wird das Spiegelbild des Betrachters betrachtet, beobachtet und geformt: der Betrachter schaut auf das Werk, sieht sich im Fenster gespiegelt und vom Publikum und Zeichner beobachtet. Auf der Mattscheibe vereinen sich die Eitelkeiten. Der Druck auf beiden Seiten ist groß. Wird die Zeichnung ein gutes Ergebnis sein?

Mit einer befreundeten Künstlerin diskutieren wir über unsere Erfahrungen, aber auch erst, nachdem sie selber die Maschine war.

Vermittelt sich das Wesentliche, nämlich der Dialog zwischen Zeichner und Betrachter, tatsächlich nur über die "Benutzung"? Sei es als Zeichner oder Betrachter?

Am Ende

bin ich am Ende.

Am letzten Tag wollen die Gropiusaner den Rekord mit der längsten Kaffeetafel der Welt brechen. Die Kabine wird sofort in die Spielecke geschoben und von den Kindern begeistert angenommen. Der Standort in aller Öffentlichkeit erschwert die Konzentration. Das Tempo der Produktion steigt an, darunter leidet die Qualität. Die Kinder stört es nicht.

Ist es wichtig?

Ich fühle mich wie eine Maschine in einem großen Dienstleistungssektor.

Aber der Kunde ist König und die Gropiusaner sind zufrieden.

Nach anstrengender Arbeit lasse ich mich mit dem Aufzug in den achten Stock tragen.

Radio Paradiso singt Hotel California.