Antonia Low /Berlin

Wer macht ein Foto von mir?

In Gropiusstadt frage ich Leute auf der Straße, ob sie mich fotografieren möchten: „ Entschuldigung, ich bin hier zu Besuch. Könnten Sie ein Foto von mir machen mit diesem Hintergrund zum Beispiel, oder dem dort?“
Ich überlasse den Angesprochenen die Wahl des Fotos, die Suche nach einem geeigneten Hintergrund und die Komposition des Bildes. Im Grunde möchte ich von einzelnen den persönlichen Blick auf ihre Umgebung einfangen. Einige werden neugierig und möchten wissen, ob ich eine „emotionale Bindung“ zu dem Ort pflege, oder hin zu ziehen gedächte. Solche Annahmen bejahe ich, um von mir abzulenken. Und so entstehen manche Gespräche, aus denen ich einiges von meinem Gegenüber erfahre: Ein vierzigjähriger Mann war als Junge mit seinen Eltern nach Gropiusstadt gezogen. Nach einer Odyssee von Umzügen durch verschiedene zu renovierende Wohnungen lebt er nun endlich in einem Apartment, dass er ganz nach dem Geschmack seiner Verlobten einzurichten weiß.


Eine ältere Dame lädt mich zu sich in den 27. Stock ein, laut ihr das „höchste Gebäude Deutschlands“. Sie verspricht mir, sie könne von dort aus die besten Fotos von mir und der Stadt machen. In der Wohnung sind die Wände verspiegelt, und wohin ich blicke, sehe ich blauen Himmel. Ihre Tochter lebe in Amerika, erzählt sie, da fliege sie bald wieder hin. Und im letzten Jahr seien drei von dem Haus gesprungen. Viele kämen dafür hierher.
Hinter einem Haus vor einem Blumenbeet sitzt ein Rentner. Er lebt in seiner Wohnung seit 22 Jahren, die Wände seien dünn und hellhörig. Seine Tochter wohne im selben Haus und sei seinetwegen eingezogen. Er fotografiert mich vor den Blumen, vor denen er täglich sitzt.
Ein Weiterer versteht mein Anliegen nicht, sich in dieser Umgebung fotografieren zu lassen. Er selber fotografiere sich mit Stativ bei Wanderungen im Gebirge. Er besitze dafür ein spezielles Stativ, das
ebenfalls als Wanderstock verwendbar sei. Ein kleiner Junge lässt sich anfänglich nicht ansprechen. Er bleibt nur stehen, weil ich ihn nach Walter Gropius frage. Weswegen die Gegend so heißt, weiß er nicht. Schnell drückt er auf den Kameraauslöser, um dann mehr von mir zu erfahren.


Ein Mädchen, das ich anspreche, findet „gar nichts toll hier zum fotografieren“, tut´s aber trotzdem gerne. Im Gegensatz zu ihr erscheint einem Asiaten mein Anliegen als völlig natürlich, zügig macht er ein paar Schüsse von mir.
Einmal stellt sich ein junger Mann zu mir ins Bild, ein anderes Mal schickt mich einer für eine gute Aufnahme quer durch den Park. Etliche bücken und knien sich zum fotografieren vor mich nieder. Irgendwann beginnen zwei türkische Jungs ebenfalls, sich gegenseitig mit ihren Handys zu
fotografieren. Insgesamt freuen sich alle über mein Interesse an Gropiusstadt. Irgendetwas funktioniert hier anders als bei mir. Die Menschen in Gropiusstadt haben Spaß in ihren Einkaufsarkaden, sie treffen Bekannte in den Läden und auf den Straßen. Und sie geben mir bereitwillig gerne ein Bild von ihrem Leben mit. „Die Berliner sind Nette“, sagt mir einer augenzwinkernd, seit 1963 in Gropiusstadt lebend. „Ich weiß es“, höre ich mich antworten. Ich weiß
wirklich nicht, welches Bild ich dabei abgebe.

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