Gertrud und Josefa Neuhaus /Münster
Kind (11) und Mutter (39) machen Urlaub und Kunst in Gropiusstadt.
Die Muße
wohnt im Sollmannweg 2. Unsere Vorgänger sind spürbar, und nach und
nach entdecken wir ihre Hinterlassenschaften. Am ersten Tag aßen wir vermutlich
die 3 Schokoladenstückchen von Ingo Gerken (Pilotprojekt 2002). Hoffentlich
verstimmt sich nicht unser Magen. Nein, die Stimmung ist bestens, der Herbst
ist golden und direkt um die Ecke ein Ponyhof, dessen Chef Ali heißt.
Die Muße wohnt im 8. Stock. Direkt und immer wieder das Bedürfnis,
auf den Balkon zu treten und ganz laut Hallo zu rufen. Es reagiert sowieso nie
jemand. Gropiusstadt scheint wie leergefegt. 35.000 Nachbarn sind freundlich
und verschanzen sich hinter variationsreichen Gardinen. Zum Glück gibt
es ein Fernglas.
Die Muße wohnt nicht in den Gropiuspassagen. Da sind alle. Im Kaufland,
wo es eine große Regalreihe mit wohl 89 Senfsorten gibt, kaufen wir ein,
was man so braucht und ein bisschen mehr. Danach ruhen wir uns aus, gehen schwimmen,
dann spazieren, dann reiten. Wir dürfen Kunst machen, müssen aber
nicht.
Wir malen die überflüssigen Supermarktprodukte an: verändern
die Farben, malen die Erbsen auf dem Glas nach und auf den Babybreikürbis
eine Halloween-Fratze; wir hinterlassen nette und verwirrende Botschaften. Es
macht Spaß. Dann stellen wir die kleinen Kunstwerke zurück in die
Kauflandregale und beobachten Angestellte und Kunden, die sie angucken und nichts
bemerken. Wahrscheinlich werden noch in einem halben Jahr welche da sein. Die
Fotos verwackeln größtenteils, denn fotografieren ist verboten, worauf
wir mehrfach hingewiesen werden, auch für Künstler.
Im überschaubaren Edeka-Markt um die Ecke, in dem hauptsächlich Leute
aus den umliegenden Altersheimen einkaufen, dürfen wir fotografieren, denn
die Geschäftsleitung ist eingeweiht. Die freundliche Frau Behr findet das
Projekt nach anfänglichen Bedenken sehr lustig und interessant und bietet
sogar an, für mich Bilder zu verkaufen, damit ich auch was davon habe,
finanziell. Eine angemalte Kondensmilchpackung möchte sie gerne behalten,
die anderen Dinge werden verkauft, unbemerkt oder als günstige Kunst.
Nach einer Woche Gropiusstadt fahren wir – beladen mit zwei vollen Edeka-Tüten
– zum Bahnhof Zoo und dann gut erholt wieder nach Münster.