Phillip Horst/ Berlin
Ich freue mich
auf eine Woche alleine in Klausur in der Gropiusstadt.
Schon beim zweiten Essen wird’s mir einsam. Lonesomeness turns fast into
loneliness.
Ich lege Zettel
aus mit meinem seriösen Gesicht drauf. "Ich esse mit Ihnen".
Niemand meldet sich bei mir.
Auf der Suche nach kollektiven Räumen will ich die Kanalisation der Gropiusstadt
kennen lernen. Bei der BWB gibt’s nur Rohrkontrolle in Rudow. Die Herren
öffnen mir die Tür zu ihrem Überwachungswagen, und wir fahren
gemeinsam per Video-endoskop-roboter die Kanäle ab. Sie wurden vorher von
Abgespültem leergesaugt, so dass wir nur einsame Tunnel befahren. Am nächsten
Tag geben sie mir eine Karte der Kanalisation um den Sollmannweg 2.
Im Seniorenheim ist SPD-Bezirksversammlung. Das neu eingerichtete Quartiersmanagement
stellt sich vor. Der plötzliche Zuzug von Migranten wird diskutiert und
bewertet. Das jüngste Mitglied der SPD wird als Ehrengast begrüßt,
es ist ein 15 jähriger türkisch stämmiger Junge. Er ist allein
mit seinem Alter, der Veranstaltungsort spiegelt das Alter der Anwesenden. Der
Raum versucht jünger auszusehen, er ist mit einigen Girlanden zum Fasching
geschmückt. Einer ruft: Soll doch der Junge mal was über seine Landsleute
sagen. Harsch greift der Versammlungsleiter ein und betont, dass dieser im Besitz
eines deutschen Pass sei. Er antwortet trotzdem und distanziert sich klar von
den Migranten, die nur abhingen und keine Ziele hätten. Als Beispiel dessen,
was Kultur bewegen kann, hat das Quartiersmanagement zur Prävention vor
der Gefahr des Nichtstuns Holzworkshops mit einem Künstler initiiert, bei
dem Jugendliche lernen, selbst eine Figur zu basteln. Ich versuche das zu verstehen,
aber kann mir die schweren Jungs, die ich an den Ecken stehen sah, nicht mit
Begeisterung Holzfigurenschnitzen vorstellen.
Lustiger wird’s auf dem Heimweg um 12 in der Kneipe am Lipschitzplatz:
Zwei alte Herren sind die letzten Gäste: einer hat 15 Jahre in Australien
gelebt und freut sich, mit mir Englisch zu sprechen, der andere war noch nie
in Australien, aber er hat einen Karteikasten voller selbstgetippter Witze,
die er ständig zitiert; zum Beispiel:
A wie Apfel: Was ist schlimmer, als in einen Apfel zu beißen und einen
Wurm zu finden? Einen halben Wurm zu finden! Oder: S wie Sex/-Gruppen: Was ist
Gruppensex im Bäckerladen? Wenn ein Amerikaner auf drei Schnecken liegt.
Ich stelle mir vor, wie dieser Herr seine mit Liebe geordnete Sammlung in der
Manege des Gropiushauses vorliest.
Am nächsten Tag bastele ich mir ein Schild und stelle mich ebendort hin,
auf die Wiese der Kurve des Gropiushauses. Tausend Fenster schauen mich an.
Auf meinem Schild steht diesmal nicht "Ich esse mit Ihnen", sondern
wertefreier "Rufen sie mich an: 0163.56.65.363". Ich stehe dort eine
ganze Weile. Das Telefon bleibt still.