Stephan Kurr/Berlin
Autark in Gropiusstadt
Ende des 19ten,
Anfang des 20sten Jahrhunderts wandelte sich Berlin von einer Provinzmetropole
zur Boomtown. Millionen von Immigranten, vor allem mittellose Landbevölkerung
aus Schlesien und Sachsen, ließen die Stadtbevölkerung innerhalb
von 70 Jahren um das zehnfache wachsen. Viele Menschen, die es noch nicht gewohnt
waren von Erwerbstätigkeit zu leben, brachten ihr Vieh mit in die Stadt
und mieteten es in Remisen oder Souterrains der Rückgebäude ein. Kleintier
wurde in Hinterhöfen gehalten. Noch in den 20er Jahren gab es in Berlin
51 städtische Molkereien, wo man selbst produzierte Milch abgeben konnte.
Das heutige Prekariat ist nicht vorbereitet auf ein mittelloses Leben. Substitutionswirtschaft
ist nicht mehr Lebensgrundlage, die benötigten Fähigkeiten werden
nicht mehr überliefert, noch in der Schule erlernt. Stattdessen beginnen
selbst designte Mikrounternehmen in wirtschaftlichen Nischen zu florieren. Zum
Beispiel Fensterputzen oder Entertainment an Ampeln, Weiterverkauf von gebrauchten
Fahrkarten, oder herrenloses Pfandgut sammeln. Es sind also immer Geschäfte
oder Dienstleistungen, die das Ziel haben Geld zu erwerben.
Nicht jeder Mensch jedoch ist geschäftstüchtig.
Welche menschenwürdigen Überlebensformen gibt es in der Stadt? Welche Möglichkeiten von Autarkie sind zum Beispiel in Gropiusstadt möglich?
Hier sollen einige
Gedanken und Entwürfe rund um die Gästewohnung aufgeführt werden:
Für nomadisierende Hirten sollte neben dem Beweiden auch das Kampieren
inklusive Feuermachen zum Zweck des Kochens erlaubt sein. Neben der temporären
Nutzung von Brachen als Weideland interessiert mich auch die Nutztierhaltung
in der Wohnung und auf dem Balkon. Kühe ließen sich wohl kaum hier
in der Wohnung halten, der Aufzug ist zu klein. Ein bis zwei Ziegen oder Schafe
erscheinen mir möglich. Ebenso Kleintier und Federvieh auf dem Balkon,
dazu ein Windrad zur Energiegewinnung, Blumenkübel mit Kräutern, Tomaten,
Sonnenblumen, eine Championzucht im Keller, Solarzellen an der Fassade, usw.
Als Mikrojob kann ich mir eine Aufzugbar vorstellen. Schnelle, kleine Drinks
zwischen den Etagen, vielleicht nur ein Schnaps, ein Espresso oder ein Gläschen
Tee nach orientalischer Art. Der Preis sollte mit Rücksicht auf die Kürze
der Fahrzeit einen Euro nicht übersteigen. 50 Cent pro Angebot erscheinen
mir angemessen.
Die Bar muss natürlich flexibel installiert sein, um Umzüge, Kinderwagen,
etc. nicht zu behindern. Gleichzeitig übernimmt der Liftbarboy die Rolle
des Kommunikators und die Kontrollfunktion eines Portiers.
Abb.: Aufzugbar
Das Tischchen besteht aus Material, das ich vor Ort fand: eine Mdf-Platte, 2 Winkel, ein Deckchen. Es wird an den Handlauf geklemmt. Ich schenkte Grappa aus.
Abb.:
Vorweihnachtliche Subsistenzwirt