Steffi Jüngling/Kassel
morgens erwacht das Gebäude hörbar
wie dünn die Wände sind!
das Halbrund des Innenhofs wie eine Bühne
ein Stück mit wenigen Akteuren
aber Schwindel- erregende Tiefe
der Himmel ist so nah
plötzlich fällt Sonne aufs Gebäude gegenüber
und dann ist auch diese Wohnung Licht durchflutet
das ganze Gebäude gluggert wie ein einziger Organismus
sehen die anderen auch so viel aus dem Fenster?
in einer sparsam eingerichteten Wohnung wird der Blick aus dem Fenster gezogen
jemand geht den Gang entlang
ich blicke durch den Spion
an einer der Hauptstraßen
beobachte ich eine Frau, die am Straßenrand nach vierblättrigen Kleeblättern
sucht; ich fotografiere sie; eine alte Dame kommt vorüber und spricht mich
mit russischem Akzent an:
Glück muss man haben, aber Gesundheit ist auch wichtig.
wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam
grauer Himmel –
– graue Wände, außen wie innen
ein Regenbogen über dem halbrunden Gebäude
lichter gehen an und wieder aus
ständige Gegenwart des Himmels
irgendwo rauscht es
ich schalte mein Licht aus und wieder an
schreibe Morsetexte an die Nachbarn gegenüber
SOS
und
I love you