Verónica Lehner /Berlin

Into the rabbit hole

Als kleines Mädchen wohnte ich im „La Torre de Cali“, in der 33. Etage eines 40-stöckigen Hochhauses im Zentrum der kolumbianischen Stadt Cali. Wenn ich nach unten guckte, sahen die Leute und die Autos wie Ameisen aus. Wenn ich versuchte, nach oben zur Spitze des Hauses zu schauen, schossen mir wegen der brennenden Sonne Tränen in die Augen, und ich konnte nichts mehr sehen. Im November dieses Jahres habe ich in der Gropiusstadt gewohnt, in dem von Walter Gropius entworfenen „Halbrund Gebäude“. Die Erfahrung brachte mich unvermeidlich in die Zeit in Cali zurück. Wie erfährt ein Kind die Maßstäbe der Gebäude und die räumlichen Relationen in der Gropiusstadt?

Im August hatte ich über ein Kind gelesen, das aus einem Fenster im 9. Stock nach unten fiel. Zum Glück wurde nur sein Bein gebrochen. Kurz danach war ich selbst in der Gropiusstadt und habe die leeren Spielplätze beobachtet. Es muss mühsam sein, von unten nach oben zu gehen, wenn man aufs Klo muss, oder wenn die Mama ruft. Außerdem scheinen die mit Sand bedeckten, deutlich von der Umgebung abgegrenzten Spielplätze nicht sehr beliebt zu sein. Im November habe ich noch bemerkt, dass es kein Licht auf den Spielplätzen gibt, obwohl es in Berlin dann schon um 16.30 Uhr dunkel wird.

Als Erwachsene wusste ich auch nicht, was ich in der Gropiusstadt tun soll: aus dem Fenster schauen, spazieren gehen, mal zum Einkaufen in die Gropiuspassagen. Irgendwann bin ich auf die Grundrisse von den Hauptgebäuden der Gropiusstadt gestoßen. Wenn man sie ausschneidet und sie an die Wände oder Stühle klebt oder auf dem Boden verteilt, sehen sie wie kleine Organismen aus. Ich habe ein bisschen mit den „Grundriss-Tieren" gespielt und sie in verschiedene Situationen gesetzt. Aber in ihrer Grundrissform waren sie noch zu hart und steif.

Das Halbrund-Hochhaus von Walter Gropius wirkt mächtig und stark. Auch irgendwie feindlich. Wenn es auf mich diesen Eindruck macht, wie erscheint es einem Kind? Ein aus durchsichtigem, buntem, aufblasbarem Kunststoff gemachtes Gebäude, das auf kindgerechten Maßstab gebracht wird, könnte die Möglichkeit bieten, das Verhältnis zwischen Kindern und dem imposanten Baukörper zu ändern. Die schwere Präsenz könnte durch das Spiel an Schwere verlieren und beweglicher und leicht werden.