Dörte Meyer / Berlin
Ich spioniere. Ich schalte das Licht nicht an, mache kein Geräusch. Beinahe vergesse ich das Blinken am Auslöser meines Fotoapparates. Keinesfalls möchte ich entdeckt werden, sondern unsichtbar bleiben in einer der zahllosen Wohnkapseln eines der vielen Häuser. Fremd bin ich hier und will es bleiben. Meine Neugierde kann ich kaum bremsen. Im Zwielicht stehe ich lange hinter der großen Scheibe und schaue auf das Haus gegenüber, registriere Veränderungen, Bewegungen und angehende Lichter. Krähenschwärme über den Häusern. Jemand zieht ein. Mein Fotoapparat sieht mehr als meine Augen. Das Sichten der Bilder am nächsten Tag ist das Bergen eines neuen Schatzes. Endlich wird meine Neugierde befriedigt, und ich schlüpfe hinein in die Fenster und Balkone gegenüber.
Mit dem Richtmikrofon nehme ich das Heulen des Windes auf, die Geräusche des Müllschluckers, von Klingeln, von Türen und die Grüße der Nachbarn untereinander. Auch dieses Gerät kann mehr hören als ich und wird zu meiner Prothese. Ich verlasse die Wohnung nur, nachdem sich die Türen der Nachbarn geschlossen haben und hoffe, dass mich keiner sieht. Dann erwandere ich die properen Flure und versauten Fluchttreppenhäuser mit zugigen Balkonen einer jeden der vielen Etagen. Sex, leere Flaschen, Matratzen und glänzend gebohnerte Gänge. Seltsame Nischen, kleine freie Räume und unerklärliche Sackgassen. Alles wird ein ungeheures, faszinierendes Riesentier, das ich nicht aufstören möchte, dem ich fürchte, nicht auf die Spur zu kommen. Oder aber ertappt zu werden und mich vorzeitig zu verraten, sodass ich es nicht mehr beobachten kann.