Markus Hofer / Wien

Mittelpunkt / 2009

(Auszug aus dem Tagebuch)

Aus einer anfänglichen und bis jetzt anhaltenden Orientierungslosigkeit innerhalb der Gropiusstadt reifte in mir der Gedanke an eine Markierung, an eine Art Zeichen, welches Position einnimmt und mir oder Anderen bei der Orientierung helfen würde.

Nahe liegend war, den Mittelpunkt der Gropiusstadt zu finden.
Da die Gropiusstadt jedoch nur einen vage definierbaren geografischen Grundriss hat, kann man keinen eindeutigen Mittelpunkt eruieren, seine Festlegung basiert immer auf der Zugangsweise der Ermittlung, und wie im eigenen Leben ist die Festlegung auf etwas Bestimmtes immer davon geprägt, wie die Frage danach gestellt wird. So, wie man einen Punkt erreichen möchte, so legt man ja auch die Wege an, um dahin zu kommen.

Seitdem mir dieses Dilemma bewusst wurde, versuche ich nicht mehr unbedingt, den einen Mittelpunkt festzulegen, sondern beschäftige mich nun mit der Vielfalt der Möglichkeiten, diesen zu bestimmen.

Dabei ist mir auch der eigenartige Zustand wichtig, dass ich zwar mitten in der Gropiusstadt lebe, die Ermittlung ihres Mittelpunkts aber an meinem Schreibtisch auf dem Papier passiert – mit Hilfe verschiedenster Konstruktionslinien auf einen Grundrissplan gezeichnet. Diese Skizzen lassen mich eine eigenartige Abgehobenheit spüren, eine künstliche Entfernung von der Wirklichkeit.
Natürlich wandere ich immer wieder durch die Gropiusstadt, erkunde und erforsche sie, verlaufe mich (übrigens mit einer Hartnäckigkeit, die mich immer wieder selbst überrascht). Und obwohl ich dabei den Mittelpunkt einige Male überquert oder zumindest gestreift haben muss, ist er nicht zu spüren: Er existiert vorläufig nur in meinen Gedanken und auf meinen Plänen, und ich frage mich langsam, ob es überhaupt klug ist, einen Mittelpunkt zu bestimmen und zu kennzeichnen. Seine Festlegung würde die Existenz aller anderen konstruktiven oder erlebbaren Mittelpunkte aufheben – auch meinen persönlichen Mittelpunkt der Gropiusstadt während meines Aufenthaltes: die Wohnung in der Hugo-Heimann-Straße.

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